NOVUM – Mitarbeitendenmagazin

Generationen gehütet

150 Jahre feiert das Kantonsspital St.Gallen in diesem Jahr, 50 Jahre die unternehmenseigene Kindertagesstätte – und 40 Jahre die Kita-Betreuerin Maria Osterwalder. Sie mag sich noch an fast alle Kinder erinnern, die sie einst auf dem Arm trug. Einige von ihnen arbeiten jetzt selbst am KSSG.

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Text: Martina Kaiser
Fotos: Reto Martin

Es gab viele. Einige stimmten sie traurig, andere nachdenklich, die meisten Erlebnisse aber waren schön. Der Ausflug in den Rapperswiler Kinderzoo beispielsweise, oder die Weihnachtsfeier, als sie alle mit selbst gebastelten Schlumpf-Mützen zu Weihnachtsliedern tanzten. Eine Begegnung hat Maria Osterwalder besonders berührt. Da war ein Mädchen, das ihr jeden Morgen einen Blumenstrauss in die Kindertagesstätte mitbrachte. Gänseblümchen. Als Maria Osterwalder ihr sagte, sie solle doch auch mal einen Strauss für ihre Mutter pflücken, erwiderte die Kleine: «Aber du machst doch genau das, was meine Mami auch macht.»

Windeln wechseln, Fläschchen geben, Geschichten erzählen, Lieder singen, Spiele spielen, Mittagessen zubereiten – seit 40 Jahren macht Maria Osterwalder das, was eine Mami eben auch macht, in der Kindertagesstätte «Spieltrückli» des Kantonsspitals St.Gallen. Am 4. September 1983 hatte sie ihren ersten Arbeitstag. Da- Text Martina Kaiser Foto Reto Martin mals befand sich die Kita noch auf dem Campus, im Haus 30, das mittlerweile abgerissen wurde. Das seien denn auch die schönsten Berufsjahre gewesen, wie die Betreuerin heute sagt. Weil sie am Ort des Geschehens war. Und wegen der Nähe zu den Eltern. «Manchmal begegneten wir ihnen auf dem Campus, wenn wir mit den Kindern spazieren gingen. Und die Mütter konnten einfach kurz rüberkommen zum Stillen, zu dieser Zeit war das völlig normal.» Auch schlitteln konnte sie mit den Kindern direkt hinter dem Haus, auf der Wiese, wo heute die Pathologie und die Rechtsmedizin untergebracht sind.

Grössere Gruppen, weniger Tage

Zwölf Buben und Mädchen betreute Maria Osterwalder damals, von Montag bis Freitag. Heute sei das anders, heute seien die Kinder im Schnitt zwei Tage hier. Und statt wie früher drei Gruppen – für Babys, Kleinkinder und Kinder bis zur Primarschule – gebe es heute deren sechs mit insgesamt 150 Kindern unterschiedlichen Alters. «Darin liegt wohl der grösste Unterschied», sagt Maria Osterwalder, «Die meisten Mütter, die ihre Kinder damals zu uns brachten, mussten arbeiten, um über die Runde zu kommen. Heute ist es zum Glück einfacher, heute können die Mütter oft selbst entscheiden, wie viel sie arbeiten möchten.»

Nicht nur gesellschaftlich, auch in Sachen Kinderbetreuung hat sich vieles verändert. So rannten die Kleinkinder früher an heissen Sommertagen auch mal nackt durch den Garten der Kita und die Säuglinge wurden gebadet. «Das ist heute undenkbar», sagt Maria Osterwalder. Zu Recht, wie sie findet. Aber: «Mehr Auflagen bedeuten auch mehr Distanz – zu den Kindern wie zu den Eltern. Heute sind wir Dienstleister, früher war man oft Teil der Familie.» Nicht selten habe sie von Eltern für das Wochenende eine Einladung zum Brunch oder zum Grillieren erhalten. Und nicht selten seien daraus Freundschaften entstanden. Manchmal betreute sie die Kinder auch privat, ohne etwas dafür zu verlangen. Von vier dieser Kinder ist Maria Osterwalder heute Gotti.

Peko-Award für «Kita-Sonnenschein»

Dieses Jahr hat die 63-Jährige ihr Pensum auf 40 Prozent reduziert, nächstes Jahr geht sie in Pension. «Es war schön, aber nun ist es wirklich Zeit für mich.» Schon einmal hat sie mit dem Gedanken gespielt, die Kita zu verlassen. Damals, 2003, als der Standort vom Campus an die Steingrüeblistrasse verlegt wurde. Und nochmals im Jahr 2018, als sie in den Neubau an der Rorschacher Strasse zogen. «Obwohl das Haus an der Steingrüeblistrasse sehr alt gewesen war, war es kindergerechter eingerichtet als die Räume im Haus 39», meint Maria Osterwalder. Als Beispiel nennt sie die Toilette: «Fürs Händewaschen müssen die Kinder hier auf das Tripp Trapp steigen. Und auch dann gelangen sie kaum zur Seife, geschweige denn zum Handtuch. Da frage ich mich schon, was sich der Architekt überlegt hat.»

Und doch ist sie geblieben. Wegen der Kinder. Und wegen Cinzia Müller, der jetzigen Kita-Leiterin. «Cinzia hat stets ein offenes Ohr für ihre Mitarbeiterinnen und viele guten Veränderungen angestossen. Zum Beispiel hat sie eingeführt, dass der Zvieri gemeinsam mit den Kindern zubereitet wird, hat Rückzugsorte für die Kleinen geschaffen, Plastik- durch Holzspielzeug ersetzt und vieles mehr.» Die Kita- Leiterin selbst sagt, auf Maria Osterwalder angesprochen: «Maria ist der Sonnenschein des ‹Spieltrückli›. Und es ist wirklich aussergewöhnlich, dass jemand 40 Jahre in diesem Beruf und dann erst noch in der gleichen Kita arbeitet. Sowas gibt es heute eigentlich nicht mehr.» Es sei daher nicht erstaunlich, dass sie in der Vergangenheit auch schon den Peko-Award erhalten habe.

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iStock

Aus Kindern werden Kunden

An diesem Freitag schneit es das erste Mal in diesem Jahr. Während die meisten Kinder der Gruppe «Murmeli» jubelnd nach draussen stürmen, kniet Maria Osterwalder neben einem Buben und einem Mädchen im Spielzimmer und baut mit ihnen einen Lego-Kran. Sie erzählt vom herzigen Eros, den sie Jahre später an der Olma wiedersah und nicht wiedererkannte, weil er sich so verändert hatte. Und von Leon, dem «kleinen Frechdachs», den sie stets ermahnen musste, nicht zu fluchen, wenn er seine Schuhe anzog.

Es klopft, ein Mann streckt seinen Kopf durch die Tür: «Ist Biljana schon fertig?» Es ist der Mann einer Kita-Kollegin und selbst ehemaliges «Spieltrückli»-Kind. Eines, das Maria Osterwalder damals betreut hat. Und er ist nicht der Einzige: Auch die frühere stellvertretende Kita- Leiterin lag schon in Maria Osterwalders Armen, ebenso wie zwei Buben, die heute ihre Ausbildung zum FaGe am KSSG absolvieren. Und auch heute noch kommen Eltern, um ihre Kinder anzumelden, und sagen: «Hallo Maria, ich bin wieder da.»

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Wo zwischen Generationen manchmal nicht mal ein Jahr liegt Generationen vereint am KSSG