NOVUM – Mitarbeitendenmagazin

Ein Tag mit Selvi Hendrick Rogin

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Text: Martina Kaiser
Foto: Reto Martin

«Haben Sie in den vergangenen Tagen Alkohol konsumiert?» Selvi übersetzt die Frage des Arztes auf Tamilisch. Die Patientin schaut verwundert. Warum sie das denn frage, sie kenne doch die Antwort – «wir trinken keinen Alkohol». Selvi, die selbst aus Sri Lanka stammt, weiss das. Und auch, dass der Patient in der Urologie nicht über intime Dinge sprechen möchte. Das sei in ihrem Land nicht üblich. Als Dolmetscherin ist es jedoch ihre Aufgabe, das Gespräch sinngemäss zu übersetzen. Es geht um Themen wie Diagnose, Medikation und Aufklärung vor und nach Operationen. Das Vorgehen ist immer gleich: Selvi stellt sich der Patientin oder dem Patienten vor, erklärt, dass sie der Schweigepflicht unterliegt, und übersetzt, was gesprochen wird. Das Gesagte verstehen und sicher sein, dass die Botschaft ankommt – «keine leichte Aufgabe».

Seit 18 Jahren übersetzt Selvi am Kantonsspital St.Gallen, zwei Jahre zuvor wurde der interne Dolmetscher-Dienst in seiner heutigen Form gegründet. Aktuell werden 34 Fremdsprachen von rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übersetzt. Sprachen, die durch die eigenen Mitarbeitenden nicht abgedeckt werden können, werden durch externe Dienstleister übersetzt. Die internen Dolmetscherinnen und Dolmetscher bilden sich jährlich weiter, bauen ihren Wortschatz in der eigenen und der Deutschen Sprache aus, lernen medizinische Fachwörter und üben mögliche Übersetzungssituationen. Sie sind in ganz unterschiedlichen Funktionen und Bereichen am KSSG tätig – in der Medizin, Pflege, Paramedizin und im Supportbereich.

So, wie Selvi. Sie arbeitet im Patiententransport. Um 7 Uhr ist Arbeitsbeginn bei der ersten Schicht: das Wägeli holen, sich in der Transportdienst-App einloggen, erster Auftrag bestätigen, und los – erst die Patientin in der Neurologie abholen und zum Röntgen bringen, dann einen Patienten aus der Orthopädie zum Untersuch fahren. So geht es den ganzen Tag bis 16 Uhr. Oder bis Selvi zum Übersetzen aufgeboten wird. Manchmal kommen kurzfristige Anfragen aus den Kliniken, oft steht der Termin aber schon einige Tage im Voraus fest. Im Schnitt sind es zwei bis drei Gespräche die Woche. Eine halbe Stunde, länger sollten sie nicht dauern. «Einerseits, weil man einfach wenig Zeit hat, und anderseits, um keine Nähe zum Patienten aufzubauen», erklärt Selvi.

Die Menschen und ihre Schicksale nicht zu nah an sich heranlassen, neutral bleiben. Das sei wichtig, gelinge ihr aber nicht immer gleich gut, sagt Selvi. «Einmal musste ich einer Mutter eröffnen, dass ihr Sohn nach einem Herzstillstand gestorben ist. Das geht mir schon sehr nahe.» Es gebe aber auch schöne Erlebnisse. Die 40-Jährige erzählt von einem Patienten aus der Onkologie, dem sie vor dem Eingriff mitteilen musste, dass seine Überlebenschance sehr gering sind. «Er überlebte die Operation und ist heute krebsfrei.»

Selvi kam 1997 in die Schweiz, da war sie gerade mal 15. Sie besuchte die Integrationsklasse in St.Gallen, lernte Deutsch, arbeitete anschliessend in einer Metzgerei und kam dann ein Jahr später durch eine tamilische Freundin ans Kantonsspital St.Gallen – und so schliesslich zum Dolmetscher-Dienst. Hier möchte sie bleiben. Weil es eine schöne Abwechslung zu ihrer Tätigkeit im Patiententransport sei. Und weil das Übersetzen eine wichtige Aufgabe im Spital sei.

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Selvi Hendrick Rogin
40 Jahre
Sri Lanka

Mehr Informationen zum Dolmetscher-Dienst des Kantonsspitals St.Gallen finden Sie im Intranet unter www.kssgnet.ch/dolmetscherdienst

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