NOVUM – Mitarbeitendenmagazin

«Wir stehen am Anfang einer Weiterentwicklung»

Wie hat sich Stefan Lichtensteiger, CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung, am Kantonsspital St.Gallen eingelebt? Was hat ihn besonders beeindruckt, was beschäftigt ihn aktuell am meisten und wie sieht er die Zukunft des Unternehmens? Diese und weitere Fragen beantwortet er im Interview.

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Interview: Philipp Lutz
Fotos: Reto Martin

Stefan Lichtensteiger, am 2. Mai 2022 war Ihr erster Tag als neuer CEO des Kantonsspitals St.Gallen. Wie geht es Ihnen?

Danke, mir geht es sehr gut. Ich habe mich am KSSG bereits gut eingelebt. Dabei hat mir sicher auch geholfen, dass ich aufgrund meiner früheren Tätigkeit schon viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch Gremien und Themen gekannt habe; ein grosser Vorteil. Kommt hinzu, dass ich von allen Seiten eine sehr grosse Unterstützung spüre und erfahre. Sei es von meinen Kolleginnen und Kollegen der Geschäftsleitung, wie auch vom übrigen Kader und natürlich auch von ganz vielen weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich treffe am KSSG überall auf eine grosse Hilfsbereitschaft.

Als CEO tragen Sie viel Verantwortung und müssen über vieles Bescheid wissen. Wie informieren Sie sich?

Ich lese und sitze viel. (lacht) Im Ernst. Ich sitze wirklich viel, und zwar in Sitzungen. Von montags bis freitags ist mein Terminkalender voll mit Sitzungen und Besprechungen. Aber das gehört dazu und ist spannender, als man vielleicht denkt. Man kann nur gut informiert sein, wenn man sich austauscht und zuhört. Mir ist es denn auch sehr wichtig, die Mitarbeitenden und das Leistungsangebot noch besser kennenzulernen. Und zwar möglichst auch vor Ort in den Kliniken, auf den Stationen oder auch in einer Werkstatt oder in Labors.

Hat Sie die Sitzungsintensität überrascht?

Jein. Die Anzahl meiner Termine widerspiegelt gewissermassen auch die Grösse und Vielfalt unseres Unternehmens. So gesehen ist es für mich keine Überraschung. Ich erachte es im Übrigen als Privileg, dass ich mich mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen beschäftigen darf und auch muss. Die Sitzungsintensität ist aktuell aber tatsächlich sehr hoch. Das liegt daran, dass die Dringlichkeit gewisser Themen, ich denke da insbesondere an die schwierige finanzielle Lage und den Fachkräftemangel, gerade in jüngster Zeit stark zugenommen hat. Dies hat sich natürlich zusätzlich auf meine Sitzungsintensität ausgewirkt.

Was hat Ihnen in den ersten Monaten am KSSG besonders Eindruck gemacht?

Nebst der erwähnten Hilfsbereitschaft und Unterstützung sicher auch die ebenso spürbare Begeisterung und das Engagement der Mitarbeitenden, sich für unsere Patientinnen und Patienten und das Unternehmen Kantonsspital St.Gallen einzusetzen. Das durfte ich bei allen meinen Antrittsbesuchen in den Kliniken, Instituten, Zentren und Departementen feststellen. Der kollegiale Umgang untereinander und die Bereitschaft zur interdisziplinären und interprofessionellen Zusammenarbeit sind am KSSG gut ausgeprägt. Was mir besonders gefällt: Auch mit schwierigen Fragestellungen setzt man sich am KSSG konstruktiv auseinander. Diese Kultur der Zusammenarbeit ist ein Alleinstellungsmerkmal, das es unbedingt zu erhalten gilt.

Sehen Sie diese KSSG-Kultur in Gefahr?

Nein, aber wir müssen dieser Kultur Sorge tragen. Bei meinen Antrittsbesuchen und im Austausch mit Mitarbeitenden stelle ich fest, dass derzeit am KSSG ein sehr hoher Belastungslevel vorhanden ist. Die ambulanten Frequenzen haben sehr stark zugenommen, und im stationären Bereich können wir die Fallzahlen – trotz Bettenschliessungen infolge Fachkräftemangel – nur dank hohem Organisationsaufwand bewältigen. Dies zehrt an den Kräften der Mitarbeitenden und kann auch die Zusammenarbeitsqualität beeinträchtigen. Gerade in solchen Phasen erachte ich es deshalb als besonders wichtig, dass wir uns im beruflichen Alltag mit Respekt begegnen und uns gegenseitig unterstützen.

Was beschäftigt Sie aktuell am meisten?

Das Gleiche wie viele Mitarbeitende, mit denen ich gesprochen habe: die finanzielle Situation des KSSG. Und ich habe auch vollstes Verständnis dafür, dass es vor dem Hintergrund der beschriebenen hohen Patientenfrequenzen und der enormen Arbeitsbelastung als Folge davon schwierig nachzuvollziehen ist, warum wir rote Zahlen schreiben. Diese Situation kann zu Unverständnis und oft auch Frustration führen. Offen gestanden ist es auch gar nicht so einfach zu erklären, warum das KSSG derzeit Verluste schreibt, denn es gibt nicht nur einen Grund dafür, sondern es handelt sich um ganz verschiedene ineinandergreifende Ursachen.

Und die wären? Weshalb hat das Kantonsspital St.Gallen finanziell zu kämpfen?

Einfach gesagt: Alles wird teurer und wir sehen uns bei den Sachkosten mit teils markanten Kostensteigerungen konfrontiert. Auch die Personalkosten haben zugenommen, während sich die Erträge leider nicht gleichermassen entwickelt haben. Hinzu kommt, dass wir gerade in den letzten Jahren mit der Umsetzung der Spitalstrategie und der Pandemie zusätzlich gefordert waren. Während dieser Zeit hat sich immer mehr eine Schere aufgetan, die das Unternehmensergebnis negativ beeinflusst hat.

Sie haben Ende September und Anfang November das Kader darüber informiert, dass für Ergebnisverbesserungen eine hohe Notwendigkeit bestehe. Wir müssen also effizienter werden. Können Sie hierzu etwas mehr sagen?

Wir haben vom Verwaltungsrat einen entsprechenden Auftrag erhalten. Auch die Politik erwartet von uns zu Recht, dass auch wir einen Beitrag zur nachhaltigen Ergebnisverbesserung leisten. Es muss zudem der ureigene Anspruch des KSSG sein, nicht nur medizinische und pflegerische Topleistungen zu erbringen, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht kostendeckend zu arbeiten. Die Geschäftsleitung hat hierzu erste Ideen und Vorstellungen formuliert und ein Programm lanciert. Ziel des Programms ist es, eine substanzielle und nachhaltige Ergebnisverbesserung von rund 50 Mio. CHF pro Jahr zu erwirken, was in Relation zum Umsatz von rund 1 Mia. CHF in etwa 5% entspricht. Um dieses Potenzial zu realisieren, sieht das Programm sechs aufeinander abgestimmte Projekte vor. Diese reichen von einer strategischen Personalplanung über Themen wie Verbrauchsreduktion bis hin zu einem Konzept, mit welchem die Attraktivität für Zusatzversicherte gesteigert werden soll. Damit eine effektive und effiziente Projektarbeit möglich wird, ist eine Initialisierungsphase für jedes Projekt festgelegt, in welcher projektspezifische Initialisierungsworkshops mit internen Schlüsselpersonen und externen Projektmitarbeitenden durchgeführt werden. Im Rahmen der Projektinitialisierungen werden zudem die jeweiligen internen Projektleitungen geklärt und fortlaufend kommuniziert.

Aber ein Hauptproblem ist doch auch, dass die Tarife schon seit Jahren grundsätzlich zu tief sind und nicht an veränderte Marktsituationen angepasst wurden?

Ja, das trifft definitiv zu. Für das Kantonsspital St.Gallen bedeutet dies, dass wir im ambulanten Bereich schon seit Jahren keine Kostendeckung mehr haben. Aber auch die DRG-Baserate, die bei stationären Aufenthalten zur Anwendung kommt, ist viel zu tief. Ein Unispital Basel beispielsweise, das einen ähnlichen Leistungsauftrag wie das KSSG hat, kann mit einer höheren DRG-Baserate abrechnen.

Und weshalb werden die Tarife nicht angepasst?

In anderen Branchen können höhere Kosten auf die Konsumentinnen und Konsumenten abgewälzt werden, indem die Preise erhöht werden. Im Gesundheitswesen gelten aber andere Regeln. Es ist für uns als KSSG nicht möglich, für Spitalleistungen einfach einseitig die Tarife zu erhöhen. Letztere müssen mit den Versicherern ausgehandelt und von den zuständigen Behörden genehmigt werden, was sehr viel Zeit beanspruchen kann, zumal man sich auf Verhandlungsebene oft nicht einig wird.

Nochmals zurück zur Effizienzsteigerung. Wir optimieren unsere Prozesse doch laufend. Wurde zu wenig gemacht oder waren die Projekte zu wenig erfolgreich?

Es gab und gibt unbestritten sehr viele gute Projekte und Konzepte. Sie wurden aber nicht überall gleich gut und konsequent umgesetzt. Da müssen wir noch stringenter und standardisierter werden. «Silo-Lösungen» verursachen oft viel Aufwand an den Schnittstellen, den man mit einheitlichen Prozesslösungen vermeiden kann. Wenn es darum geht, Beiträge zur Ergebnisverbesserung leisten zu müssen, denkt man oft, sollen das doch zuerst die anderen machen, bei mir ist schon alles optimiert. Jede und jeder von uns, mich eingeschlossen, muss aber bereit sein, auch im eigenen Bereich Verbesserungen zu erzielen.

Mir ist es ein grosses Anliegen, noch etwas zu betonen: Wir stehen am Anfang einer Weiterentwicklung, bei der die Rolle des Kantonsspitals St.Gallen als überregionaler Endversorger weiter gestärkt wird. Sei es mit dem «Managementmodell 2024+» oder beispielsweise mit der Ende Oktober kommunizierten beabsichtigten Übernahme der Geriatrischen Klinik. Die Modalitäten der Übernahme mit den entsprechenden rechtlichen Fragestellungen werden nun noch sorgfältig überprüft. Wir sind zuversichtlich, dass wir die Verhandlungen bereits in den nächsten Monaten erfolgreich abschliessen können.

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Stefan Lichtensteiger bei einem seiner Antrittsbesuche. Hier in der Klinik für Kardiologie im Gespräch mit Pia Gerber und Hans Rickli.

Wo liegen für das KSSG die Vorteile dieser Übernahme?

Wir erhalten damit eine Möglichkeit, unser Angebot mit einer bedeutenden Disziplin zu ergänzen. Die Zusammenarbeit zwischen der Geriatrie und anderen medizinischen Disziplinen würde dadurch massgeblich erleichtert werden, zum Beispiel beim Übertrittsmanagement von Patientinnen und Patienten. Zugleich bestünde die Option, im Geriatriegebäude eine enge Zusammenarbeit mit den RehaKliniken Valens zu etablieren. Oder nehmen wir noch ein anderes Beispiel: Zur Sicherstellung der entsprechenden Versorgung in der Ostschweiz streben wir für unsere Klinik für Kardiologie einen erweiterten Leistungsauftrag im Bereich Herzchirurgie an.

Was will ich mit diesen Beispielen aufzeigen? Das Kantonsspital St.Gallen ist ein starkes Unternehmen mit sehr guten Perspektiven und äusserst interessanten Aufgabenstellungen. Dessen dürfen wir uns ruhig vermehrt wieder bewusst sein. Trotz der aktuellen Herausforderungen entwickeln wir das Unternehmen ständig weiter. Wir holen jetzt gemeinsam zunächst etwas Anlauf, stehen aber insgesamt vor einer sehr erfolgreichen Zukunft. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

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